Frei Räume

Texte aus der Schreibwerkstatt mit Karl-Heinz Ott

Vorgegebene Wörter: Sonnenschein · Zeit · Laterne · blau · Freiraum · Kritik · Neugier

Text von Brunhild Bast

Blauer Sonnenschein 

eine irre Laterne 

im Freiraum leuchtet Zeit 

Zeit für Neugier 

Zeit für Kritik

Text von Maja Fricke

Ein anderer Samstagmorgen

Noch schläfrig 

blinzle ich in die Welt,

Sonnenschein kitzelt mich 

zu einem kräftigen Niesen.

Ich setze mich im Bett auf, 

suche den Tag, 

erkenne ihn.

Langsam und vorsichtig 

setze ich Schritt für Schritt 

in einen Tag voll von Freiraum für Neues und SEIN.

Ich nehme mir Zeit, 

eine Geschenkekiste voller Zeit,

Stunden, Minuten, Sekunden 

für Seele fliegen lassen,

für Träumen,

mich im Blau des Himmels zu verlieren und zu finden.

Und was 

–ruft mir meine innere Kritikerin zu-

ist mit dem Haushalt und all den Dingen, die Du noch erledigen musst, 

als ich gedankenverloren beinahe eine Laterne umarme?

Kann warten, denke ich, und zwinkere neugierig in den Tag!

Text von Eva Mittrücker

Leben, Anders

Alles begann schleichend, langsam, kaum zu merken. Da war der Herd nicht ausgeschaltet. Die Schlüssel verlegt. Dann die Wortfindungsstörungen. Spätestens als das Wort Sonnenschein nicht mehr sofort aus seinem Munde kam, sie ihm dabei helfen musste es zu finden, war es klar, die Zukunft würde nicht einfach. Es war schwer für sie keine Kritik an ihm zu üben, geduldig zu bleiben. Abends saß sie im Schein der Laterne, hing ihren trüben Gedanken nach. Monate später sah sie sich gezwungen ihre gesamte Zeit mit ihm zu verbringen. Man konnte ihn nicht mehr alleine lassen. Vom Fenster ihres zum Gefängnis gewordenen Hauses sah sie eines Tages ein Auto mit der Aufschrift:

Freiraum

Die Neugier war geweckt. Sie las weiter.

Kurzbetreuung für Menschen mit körperlichen und/oder geistigen Beeinträchtigungen

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Welch ein Angebot! Anrufen, sofort!

Ohne schlechtes Gewissen konnte sie nun wieder etwas für sich alleine unternehmen, ab und an.

Die Zukunft schien nicht mehr schwarz, nein auch nicht rosig, aber zumindest etwas blau.

Freiraum ist nun ihr Lieblingswort

Text von Vinzent Grimmel

Das Kloster lag, wie man es sich vorstellt. Leicht abgelegen, in Hanglage am Rande des Waldes. Das Gebäude passte allerdings nicht ganz ins Bild: Wie wir später erfuhren, war es vor etwa 15 Jahren von einem ehemaligen Rhea-Zentrum in seine jetzige Funktion als buddhistisches Kloster und Seminarzentrum umgewandelt wurden. Es bestand aus mehreren Trakten, denen man das Jahrzehnt ihrer Entstehung und die damaligen architektonischen Vorlieben ansehen konnte. Das Ergebnis war ein im Stil der 70er Jahre aus geraden Linien bestehender, mit schlanken Balkonen und großflächigen, aber dünnen Fenstern gesäumter Kasten, der sich zu seinem linken, offensichtlich später errichteten Flügel hin in dreieckigen Erkern der späten 90er verlor. Überall waren Leinen an Giebel und Regenrinnen gehisst, an denen leicht verschlissene gelbe, blaue, grüne und orangene Fahnen in akkuraten Abständen wie Wäschestücke aufgehängt waren. Darauf waren buddhistische Weisheiten, so nehme ich an, in fremden Schriftzeichen geschrieben. Die Fahnen vermochten den Blick etwas vom weißen Anstrich abzulenken, der offensichtlich bessere Tage erlebt hatte und von den Paneelen der Fassadenverkleidung blätterte. Ich kannte diese Fahnen von Freunden, die sie als Souvenirs aus dem Thailandurlaub mitgebracht hatten. Laternen, eigentlich obligatorisch und ebenfalls ein begehrtes Souvenir aus Ländern mit buddhistisch geprägter Kultur, fehlten dem Kloster überraschenderweise.  

Die Anreise hatte einige Zeit in Anspruch genommen. Die Serpentinen auf dem Weg zum Kloster waren wir in gemächlichem Tempo im Schatten eines Linienbusses emporgekrochen. Von seiner besten Seite hatte sich jedoch der Odenwald gezeigt: Sonnenschein, ein für den angehenden Hochsommer erfrischend sattes Grün, weidende gehörnte Kühe. Ein deutsches Heimatidyll. Ich verspürte eine eigenartige Mischung aus Gehetztsein und einer ersten Entspannung. Als Markus und ich dann endlich mit einiger Verspätung in den Seminarraum eintraten, empfingen uns die Kollegen in ungewohnter, fast drückender Stille. Mein Blick fiel auf Julius, der sich gegenüber auf seiner Yogamatte in den Schneidersitz gesetzt hatte, die Beine mit einer braunen Fleecedecke umwickelt. Er wirkte verändert, geradezu mystisch. Da ich ihn bisher nur aus Meetings und Diskussionen kannte, sorgte dieses Bild für eine erste Irritationen. 

„Willkommen, setzt euch hin und macht es euch Bequem. Ich bin Patrick, euer Leiter.“ Patrick saß links in der Ecke, ich hatte ihn beim Eintreten nicht bemerkt.

Text von Eva Bär 

Der Spaziergang

Ich dachte, dass die Laterne nicht benötigt wird.

Der Sonnenschein war intensiv, er blendete. Das Licht wirkte wie ausgewaschen. Es hatte schon etwas Spätsommerliches, Klares. Das Blau des Himmels war leuchtend, die kleinen weißen Wolken zogen im Wind, zeichneten Bilder an den Himmel, weckten die Neugier. Was entstand da, was sah ich, was sehen die anderen? Den Bären, das Ungeheuer, den Drachen, das aus der Zeit gefallene Leben? Lange war ich unterwegs, schweigend, genießend, trauernd. Stille, Wind, Gedanken. In diesen unendlichen Freiräumen war ich schutzlos jeder Selbstkritik ausgesetzt. Nur unterbrochen von der Dämmerung, froh, dass ich die Laterne mitgenommen hatte.

Texte aus der Schreibwerkstatt mit Theresia Walser

MonologMonster von Eva Hoffmann 

Also, ich bin der Arnold. Ganz nach Schwarzenegger: alt aber modisch. Das da sind meine drei Jüngsten, 17, 15 und 12. Der Älteste ist schon aus ‘em Haus, wohnt oben im Holsteinischen, in Schleswig. Also nicht bei der Ministerin, der Manuela. War das jetzt die, die wo krank war, oder die, wo abgesägt worde is, wegen dem Abschreiben? Die musste ja ihren Doktor an den Nagel hängen, also net ihren Hausdoktor, da würd‘ man ja auch gern den ein oder andern von an die Wand nageln. Nee, wie der… wie hieß er gleich, der, wo dann nach Amerika is, aber jetzt is er wieder da, mit Sack und Pack, und wo immer so adrett im teuren Mäntelchen… der zu Guttenberg!

Ich hab ja in Mainz studiert, da is der Name Gutenberg ja geläufig, aber eigentlich stamm ich ja aus dem Erzgebirge. Kennen se, ne, aber wandern kann man hier in de Palz ja och ganz gut, übern steilen Zacken. Ach nee, der war ja da über Frankfurt, da im Taunus. Oder Brocken? Hieß der Brocken? Egal, kann ja jeden Dialekt so a bissl, bin eben ‘n Naturbursche, züchte Bienen, imitiere Vogelgeräusche… Könnt den ganzen Tag ihrem Gesang lauschen. Kennen se die heimischen Vögel? Ich kann ihnen gern mal ne Kostprobe… Oder mögen sie Gedichte? „Der Wind, der Wind, das himmlische Kind…“ – Die Lyrik, da kommen ja auch die Songlyrics her, is also gar net so altmodisch, wie wo manche denken: „Ja, ich sause, sause, sause im Sauseschritt…“ Melodien – sind ja gut für die Nerven! Oder klassische Musik, Oper, der Ring der Nibelungen… Is ja ne Hausnummer! Alles drin: Schmerz, Licht, Frost … eine Mahnung an die Nachwelt. 

Sehen se da die Nacktschnecke? Fressen ja alles. Ich mag ja die mit dem Haus, is ja auch mein Lieblingsgedicht, das von Heinz Erhardt, kennen se? „Die Schnecke: Mit ihrem Haus nur geht sie aus, doch heut lässt sie ihr Haus zu Haus. Es drückt so auf die Hüften. Und außerdem, das ist gescheit, und auch die allerhöchste Zeit, sie muss ihr Haus mal lüften!“ Trollich, was? Ich hab ja auch ein Tolles verfasst. Nich von der Schnecke, aber von em Vogel. Sie müssen raten, welcher es is. Is aber von Vorteil, wenn se wie ich mit den Gedichten von Heinz Erhardt vertraut sin, der hat auch eins über den Vogel geschrieben. Also: „Für Heinz Erhardt war es sonnenklar, für andre bin ich sonderbar. So bin ich nun mal sehr belesen. Was denkst du wohl bin ich gewesen?“ Gut, was? Ham se’s erkannt? He? Verzwickt, was? Ja, der Heinz Erhardt und ich…

Aber die nerven, die Schnecken, fressen den Salat und alles. Wie manche Menschen. Kennen se? Schlimm…

Monologmonster von Bettine Wagner-Friedewald 

(Szene einer Begegnung im Zug)

Ein Mann reißt die Abteiltür auf und beginnt atemlos zu sprechen..

 .. darf mich doch neben Sie setzen, nicht wahr.., wissen Sie, hab kaum geschlafen und hab eine Fahne und… war gestern auf so einem schrecklichen Gartenfest in der Vorderpfalz.. furchtbar, einfach nur furchtbar.. ätzende Leute, kitschige Lampions, fettiges Fleisch auf dem Grill…ich glaubs ja nicht..ich bin ja Veganer seit der Pandemie!

Musste mich einfach betrinken… können Sie verstehen, nicht wahr?..

 Und dann auch noch mein Schwager Arnold, abergläubisch bis zum abwinken, unerträglich..echt! 

 Ist schon eine Hausnummer für sich, der Arnold..oh Gott..apropos Hausnummer! 

Da hat der mich ja schon gleich zugelabert, redet und redet, von wegen wie gut das sei, daß hier die Hausnummer 17 sei und nicht  13…da wäre er ja gar nicht erst gekommen, 13 niemals wär er da gekommen und ich denk, ja, wär mir lieber gewesen und kurz vorher sagt da einer noch, dass der Straßenname immer aussagt, wohin die Strasse führt und ich denke hmhm ja die Grünstadterstraße führt dann nach Grünstadt und die Mannheimerstraße nach Mannheim und die Freinsheimerstraße nach Freinsheim  und dann denke ich an die Straßen hier bei mir in Kaiserslautern und denke, so ein Quatsch,..die Eierstraße führt die dann zu den Eiern? Und die Adolfstrasse zum..naja den gibt’s ja Gott sei Dank nicht mehr…

Aber vielleicht hab ich ja tatsächlich Glück, dass dieses Fest nicht in einer Straße stattfindet, die Pandemiestraße 13 heißt..oder? 

Was meinen Sie? 

Langweil ich Sie ? 

Eigentlich hab ich noch nie jemand gelangweilt..naja auf jeden Fall war es supernervig in diesem Garten, mit all den ätzenden Leuten, dem fettigen Fleisch auf dem Grill und voller Insekten…von wegen Insektensterben..das ist ja wohl die Mär des Jahrhunderts..grauenhaft dieses Gesumme und Gepiekse..und dieser Arnold, mein Schwager, der sich immer zu viel Raum nimmt und überhaupt nicht wahrnimmt, dass er alle Leute nur nervt, mit seinem reden und reden..oh Mann..wissen Sie.. ohne Punkt und Komma von seinen Reisen..von Schleswig-Holstein und Turkmenistan, von Meer und Wind und Sturm und Gebirge und anstrengend und was weiß denn ich..unerträglich..verstehen Sie das? 

Und dann hab ich mir auch noch am Grill die Finger verbrannt als ich mir die Zucchinideko angeln wollte..oh je..aber kurz danach konnte ich mich doch noch ein bisschen schadenfreuen..hoho..das muss ich Ihnen noch erzählen, unbedingt: da hat sich der Arnold in seinem ach so tollen Mantel aus echter Merinowolle eine halbe Bratwurst mit Senf auf eben diesen fallen lassen..hab ich ihm echt gegönnt dieser Nervensäge…apropos Wolle: meine Mutter hat immer zu mir gesagt: Mein Schatz, du bist wirklich der Kaschmir unter den Stoffen! Das ist doch mal eine Ansage, finden Sie nicht auch?  

Langweile ich Sie? 

Eigentlich hab ich noch nie jemand gelangweilt ..naja ich steig sowieso bald aus und Sie schauen mich immer so interessiert an..das freut mich wirklich..und: Sie haben so einen schönen Kamelhaarmantel an..und denken Sie bloß nicht, dass Sie deswegen etwas mit Kamelen gemeinsam..nein nein..es ist ein Kompliment meinerseits..es ist ja auch nicht jeder ein Schläger, bloß weil er Schlaghosen an hat und nicht jede Frau, die eine Bluse mit Puffärmeln , kommt aus dem..Sie wissen schon..oh schade ich muss aussteigen..es war interessant, mich mit Ihnen zu unterhalten, wirklich! Apropos: kennen Sie eigentlich das neue Buch von Elke Heidenreich „Männer in Kamelhaarmänteln?“>>

Dialog mit Pausen und Schweigen von Kyra Schilling

Rechtzeitig

A Weißt du schon?

B Sicher.

A Hatte keine Ahnung.

B Mmh.

Pause

A Hättest anrufen können.

B Schweigt.

A Hättest bei What´s App …

B Nutz´ ich nicht.

A Vorbeikommen …

B Schweigt.

A Rechtzeitig!

B Rechtzeitig? – Gab´s nicht.

Pause.

A Warum?

Zögernd.

B Lag im Koma.

A Schweigen.

Dialog mit Pausen und Schweigen von Rafael Barth

Stille

A „PENG!“ 

B „Bitte …?“

A „Ja, Peng!“

„Was meinst Du?“

Pause

„Ein Knall.“

B „Wo?“

„Keine Ahnung“

Pause

B „Gewehr?“

A „Eher …“

B „Was sonst?“

A „Weiß nicht.“

Pause

B „Also, peng, und“

„Nix und.“

Stille

B „Du spinnst“

„Vielleicht, 

Schweigen

A vielleicht nicht …“

Dialog von Michael Matheis

Das Torbogenfest und das neue Auto 

Peter: Unn wie? 

Heinz: Joa! 

(Pause) 

Heinz:Unn bei dir? 

Peter: Neies Audo. 

Heinz: Joo?

Peter: EI joo. 

(Pause) 

Peter: Fier mei Fraa.

Heinz:  Hat die iwwerhaupt Fiehrerschein? 

Peter: Schunn lang. 

(Pause) 

Peter: Ich geh noo Gellum. 

Heinz: Was machschden dort? 

Peter: Gehschde mit?

Heinz: Weeß net. 

(Pause) 

Peter:Do isch Torbogefeschd.

Heinz: Ah so. 

(Pause) 

Peter: Mei Fraa fahrt aa. 

Heinz: Mit dem Neie?

Peter: Ei joo. 

(Pause) 

Heinz: Gudd.

Peter:Do kenne ma a…

Heinz:…e paar Schorle trinke. 

(Pause)